Hintergrund: Die Schizophrenie verursacht krankheitstypische Einschränkungen, die in der Kommunikation mit dem Patienten ein kaum zu überwindendes Hindernis darstellen. Künstlerische Therapien nutzen darum Formen der Kommunikation, die nonverbal-kreative Elemente enthalten. In der Kunsttherapie gestaltet der Patient Bilder und findet in deren Betrachtung mit dem Therapeuten ggf. einen gemeinsamen Gesprächsfaden. Eine solche Entwicklung wurde von der Autorin bei einigen ihrer Patienten wahrgenommen, und zwar über den subjektiven Eindruck einer Änderung ihrer Sprache und Stimme. Die Studie sollte diese Beobachtungen objektivieren, und zwar mittels Text- und Stimmanalyse der im Therapieverlauf regelmäßig stattfindenden digital aufgezeichneten Interviews.
Methode: In die explorative Einzelfallstudie (Single-subject research study [SSR] in einem isolierten B-Design) wurden sieben Patienten (n = 7) eingeschlossen. Sie befanden sich stationär in einer beschützten Einrichtung und litten unter einer langjährigen Schizophrenie. Sie sollten über einen Studienzeitraum von sechs Monaten an wöchentlichen Gruppenkunsttherapien teilnehmen, und dabei bildnerisch tätig werden. In einer KT-therapeutengeführten Bildbesprechung (KT-TGBB) sprachen sie über die entstandenen Bilder. Es erfolgte eine duale automatisierte computergestützte Analyse der so gewonnenen Audiodokumente. Und zwar zum einen mittels einer wörterbuchbasierten Textanalyse. Diese arbeitet mit dem Linguistic Inquiriy and Word Count (LIWC2015) und brachte 61 Ausgabeparameter in die Datenanalyse. Zum anderen mittels VocEmoApI (Voice Emotion Recognition by Appraisal Inference), einer Stimmanalyse-Software, die das Powerspektrum der Stimmen in kurze Sequenzen gliedert, in denen die Bewertung emotionaler und prosodischer Merkmale anhand validierter Algorithmen erfolgt. Davon wurden 60 Ausgabeparameter in die Datenanalyse eingeschlossen. So sollte aus dem dualen Einsatz aus Text- und Stimmanalyse eine interne Kontrolle der Studienergebnisse resultieren. Inwieweit das gelang, sollten die Korrelationen zeigen, die sich aus den Ausgabeparametern beider Methoden errechnen ließen. Die statistische Auswertung der Datensätze von LIWC2015 und VocEmoApI erfolgte mit den Methoden der deskriptiven Statistik, der explorativen Faktoren- und linearen Regressionsanalyse.
Ergebnisse: Zur Auswertung kamen die Audiodokumente aller sieben Studienteilnehmer. Sechs Teilnehmer beendeten die Studie zum vorgesehenen Zeitpunkt nach sechs Monaten, einer durfte nach vier Monaten die Einrichtung verlassen, seine bis dahin vollständigen Audiodokumente wurden in die Auswertung der Studie einbezogen. Von insgesamt 140 möglichen Interviews fanden 115 statt. Der Datenverlust für die gesamte Studiengruppe betrug demnach 18%.
Mit Hilfe der Deskriptivstatistik wurde für den gesamten Studienverlauf eine individuelle Rangliste aller Merkmale der Text- und Stimmanalyse erstellt, und zwar in Abstufung der durch den Algorithmus erzeugten Bewertungen. Die sechs ranghöchsten Merkmale eines jeden Studienteilnehmers wurden zur weiteren statistischen Auswertung zu individuellen Leitparametern erklärt. Während sich diese Leitparameter aus dem Wortgebrauch (Textanalyse) unter den Studienteilnehmern homogen verteilten, ergab sich bei den aus der Stimmanalyse gewonnenen Leitparametern, dem individuellen affektiven Ausdrucksmuster, eine komplett gegensätzliche Verteilung zwischen den männlichen und weiblichen Teilnehmern.
Die explorative Faktorenanalyse errechnete für die Ergebnisse beider Untersuchungsinstrumente fünf Faktoren. Sie wurden als Zielparameter im Studienverlauf eingesetzt, und erhielten die Bedeutung von Surrogat-Markern für Veränderungen von Sprache und Stimme.
Die quantitativen Einzelfallanalysen zeigten für die LIWC2015-Faktoren ausschließlich individuelle Verläufe. Die Faktoren (Zielparameter) der Stimmanalyse (VocEmoApI) ließen im Studienverlauf bei drei der sieben Teilnehmern komplexe und vor allem auch systematische Veränderungen erkennen. Diese bestanden im Gleichklang einer bedeutenden linearen Abnahme negativer Emotionen, nämlich von Frustration, Stress, Panik & Angst. Bei zwei Studienteilnehmern ergab sich darüber hinaus auch eine Zunahme eines weiteren Faktors, der auf Grund seiner emotionalen Charakteristika als Introversion bezeichnet wurde. Alle genannten Veränderungen wurden erst gegen Ende des dritten Studienmonats statistisch auffällig, um z.T. erst zum Studienende das Signifikanzniveau zu erreichen. Im Kontrast zu den Einzelfallanalysen zeigten sich über die gesamte Stichprobe signifikante Veränderungen im Studienverlauf der LIWC2015-Faktoren, und zwar im Sinne einer Zunahme bei den so benannten Faktoren Präsenz und Selbstkritische Analyse.
Die Aussagekraft der Studienergebnisse sollte durch den dualen Studienansatz i.S. einer internen Kontrolle durch Korrelationen zwischen den Faktoren der Text- und Stimmanalyse gesichert werden. Bei den Einzelfallanalysen ließen sich nur individuelle Zusammenhänge aufzeigen. Über das Gesamtkollektiv zeigten sich hingegen auch Korrelationen, die Faktoren, Leitparameter und quantifizierte Einzelemotionen der Text- und Stimmanalyse, in einen statistisch gesicherten Zusammenhang brachten.
Schlussfolgerung: Sieben chronisch schizophrene Studienteilnehmer nahmen über sechs Monate meist kontinuierlich an einer kunsttherapeutischen Studie aus wöchentlicher Gruppenkunsttherapie und anschließendem Einzelinterview teil. Damit erwies sich die innere Struktur der KT-Intervention aus KT-Bildentstehung und KT-TGBB als geeignetes Instrument, um die Adhärenz der Teilnehmer an der Studie über einen Zeitraum aufrecht zu erhalten.
Die Ergebnisse der LIWC2015-Faktoren Präsenz und Selbstkritischen Analyse könnten als positive sprachliche Entwicklung der sieben chronisch schizophrenen Studienpatienten und damit als Kriterium für einen Trainingseffekt geltend gemacht werden. Die über die Faktoren der Stimmanalyse (z.B. Stress, Panik & Angst) gemessenen Veränderungen belegen, dass im Studienverlauf eine Aktivierung von Emotionen stattgefunden hat, die als kathartischer Heilungsprozess interpretiert werden könnten.
Die in dieser Studie vorgestellten Methoden aus Text- und Stimmanalyse könnten somit zur quantitativen Erforschung der Wirksamkeit von kunsttherapeutischen Prozessen eingesetzt und weiterentwickelt werden.